Pflege bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS)
Ein umfassender Ansatz zur Lebensqualitätsförderung
Einleitung
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die das motorische Nervensystem angreift und zu Muskelschwäche sowie Lähmungen führt. Die Pflege von ALS-Patienten ist eine komplexe und herausfordernde Aufgabe, die eine kontinuierliche Anpassung an, die sich verändernden Bedürfnisse der Betroffenen erfordert. Dieser Artikel gibt einen Überblick über wichtige Pflegemaßnahmen und zeigt auf, wie eine interdisziplinäre Betreuung die Lebensqualität von ALS-Patienten verbessern kann.
Krankheitsverlauf und typische Symptome
ALS zeigt sich durch eine Kombination motorischer Störungen, die je nach Verlaufsform unterschiedliche Symptome umfassen. Die spinale Verlaufsform, die häufigste Form, beginnt meist mit Muskelschwäche und Krämpfen in den Extremitäten, was die Beweglichkeit und das Gangbild beeinträchtigten. Die bulbäre Verlaufsform führt zu Sprech‑, Kau- und Schluckstörungen, während die respiratorische Verlaufsform primär die Atemmuskulatur betrifft. Unabhängig vom Verlauf verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Patienten kontinuierlich, sodass eine intensive Pflege und Unterstützung notwendig werden.
Wichtige Pflegemaßnahmen für ALS-Patienten:
- Atemtherapie und Sekretmanagement
Die fortschreitende Schwächung der Atemmuskulatur bei ALS erschwert den Atemvorgang und erhöht das Risiko für Lungeninfektionen. Pflegefachkräfte setzen daher Atemtherapien und spezielle Atemübungen ein, um die Lungenfunktion so lange wie möglich zu erhalten und das Abhusten zu erleichtern. Darüber hinaus kommen Techniken zur Sekretmobilisation zum Einsatz, die helfen, die Atemwege freizuhalten und Infektionen vorzubeugen. Ein wichtiger Bestandteil der Pflege ist dabei auch das hygienische Absaugen des Sekrets mithilfe steriler Katheter, um das Risiko von Infektionen zu minimieren.
- Physiotherapie und Mobilisation
Physiotherapie ist entscheidend, um die Mobilität so lange wie möglich zu erhalten und Muskelspastiken zu verhindern. Ein individuelles Trainingsprogramm hilft, die Beweglichkeit zu fördern und Schmerzen durch Inaktivität zu reduzieren. Unterstützende Bewegungsübungen durch Pflegefachkräfte verhindern zudem Kontrakturen und Dekubitus (Druckgeschwüre).Bewegungsübungen zur Vermeidung von Kontrakturen im Bereich der Arme und der Hände
Bewegungsübungen zur Vermeidung von Kontrakturen im Bereich des Knie- und des Hüftgelenks - Ergotherapie zur Alltagsbewältigung
Die Ergotherapie unterstützt ALS-Patienten dabei, Alltagsaktivitäten so lange wie möglich selbstständig auszuführen. Ergotherapeuten empfehlen gezielt Hilfsmittel und entwickeln Strategien zur Durchführung täglicher Aufgaben, wie etwa das Ankleiden oder die Nahrungsaufnahme, um den Grad an Selbstständigkeit zu maximieren. - Logopädie / Kommunikation und Ernährung
Da ALS häufig die Sprech- und Schluckmuskulatur beeinträchtigt, ist eine logopädische Therapie sinnvoll, um die Kommunikation zu erleichtern und das Schlucken zu unterstützen.
Zusätzlich erfordert die Kommunikation mit ALS-Patienten besondere Aufmerksamkeit, da die Fähigkeit zu sprechen mit dem Fortschreiten der Erkrankung zunehmend verloren geht. Die Augenmuskulatur bleibt jedoch oft funktionsfähig, sodass viele Betroffene per Augencode kommunizieren können. Eine einfache Möglichkeit besteht darin, Ja/Nein-Fragen zu stellen, auf die der Patient mit Zwinkern reagiert. Für eine umfangreichere Kommunikation stehen spezielle Computer zur Verfügung, die es den Patienten ermöglichen, per Augencode zu schreiben, einen Notruf auszulösen oder andere Befehle zu geben. Da diese Technologie nicht immer fehlerfrei funktioniert, sind Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen seitens der Pflegekräfte besonders wichtig.
Eine angepasste Ernährung kann das Risiko von Aspirationen verringern. Im fortgeschrittenen Stadium wird oft eine PEG-Sonde eingesetzt, um eine ausreichende Nährstoffversorgung sicherzustellen. - Heimbeatmung
Im späteren Krankheitsverlauf wird die Atemunterstützung für ALS-Patienten zunehmend wichtig. Zunächst kann eine nicht-invasive Beatmung (NIV) genutzt werden, bei der der Patient über eine Maske atmet. Diese Beatmung unterstützt die Atmung des Patienten, indem die Maschine mit Druck die benötigte Luftmenge bereitstellt. Mit Fortschreiten der Krankheit wird bei vielen Patienten eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma erforderlich, dass eine direkte Verbindung zur Luftröhre ermöglicht.Pflegefachkräfte übernehmen in der Beatmungspflege zentrale Aufgaben, wie die Pflege des Tracheostomas, die Überwachung der Beatmungsparameter, das Notfallmanagement und die Aufrechterhaltung der Hygiene. Hygiene ist besonders wichtig, da Beatmung ein Risikofaktor für Lungenentzündungen ist. Um Infektionen zu vermeiden, erfolgt die Absaugung des Sekrets durch sterile Absaugkatheter und Handschuhe. Beatmungsparameter, die vom Arzt festgelegt werden, werden regelmäßig überprüft, um eine optimale Sauerstoffversorgung sicherzustellen.
- Schmerzmanagement und Lagerung
Die richtige Lagerung der Patienten ist entscheidend, um Muskelverspannungen und Schmerzen zu vermeiden. Konzepte wie die LIN-Lagerung und das Bobath-Konzept helfen, Spastiken zu verhindern und den Muskeltonus zu regulieren. Ein gezieltes Schmerzmanagement in Zusammenarbeit mit Ärzten und Physiotherapeuten trägt zur Verbesserung des Wohlbefindens bei. - Emotionale und soziale Unterstützung
Neben der physischen Pflege ist auch die emotionale Unterstützung von großer Bedeutung. Gespräche und psychosoziale Betreuung helfen den Patienten und ihren Angehörigen, die psychischen Belastungen durch die Krankheit zu bewältigen und eine hohe Lebensqualität aufrechtzuerhalten.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit für eine optimale Versorgung
Die Pflege von ALS-Patienten erfordert ein multidisziplinäres Konzept, das auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt ist. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Pflegefachkräfte arbeiten eng zusammen, um eine umfassende Versorgung zu gewährleisten. Regelmäßige Abstimmungen zwischen dem Pflegeteam und den behandelnden Ärzten stellen sicher, dass alle medizinischen und pflegerischen Maßnahmen optimal aufeinander abgestimmt sind und die Lebensqualität der Betroffenen im Fokus bleibt.
Schlussfolgerung
Die Pflege von ALS-Patienten ist anspruchsvoll und stellt hohe Anforderungen an Pflegekräfte und Angehörige. Ein ganzheitlicher, auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmter Pflegeplan sowie eine enge Zusammenarbeit im interdisziplinären Team können dazu beitragen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Weiterführende Literatur
ALS – Mit der Krankheit leben lernen
Der Patientenratgeber zur Amyotrophen Lateralsklerose greift Themen auf, die im Alltag mit der Erkrankung relevant sind. Er enthält umfassende Informationen zur medizinischen Versorgung und Therapie, zu Kommunikation, Ernährung, Beatmung, Pflege, Vorsorge, zu Rechten und Leistungen im Sozial- und Gesundheitssystem, aber auch zur Bewältigung der Erkrankung und zum Erhalt von Selbständigkeit und Mobilität.
111 Seiten, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V.
Hier zum Downloaden
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Weitere Informationen, Unterstützung und Ressourcen für an ALS betroffene Menschen bzw. Interessierte bieten folgende Seiten:
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): https://www.dgn.org/
Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. https://www.dgm.org/muskelerkrankungen/amyotrophe-lateralsklerose-als
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP): https://www.dgpalliativmedizin.de/
Zusätzliche Informationen kann man bei Selbsthilfegruppen, Vereinen und Organisationen erhalten. Beispielsweise die ALS-Liga oder folgende Vereine des Verbundes ALS Deutschland:
Berühmte Persönlichkeiten mit ALS
Eine der bekanntesten Persönlichkeiten mit Amyotropher Lateralsklerose war der britische Physiker und Kosmologe Stephen Hawking. Bei ihm wurde ALS im Alter von nur 21 Jahren diagnostiziert, und entgegen der üblichen Prognose lebte er noch mehr als 50 Jahre mit der Krankheit. Hawking nutzte fortschrittliche Technologien zur Kommunikation, darunter einen Sprachcomputer, der ihm erlaubte, weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten und Vorträge zu halten. Trotz seiner körperlichen Einschränkungen schrieb er Bestseller wie Eine kurze Geschichte der Zeit und prägte das Verständnis der modernen Kosmologie.
Ein weiteres inspirierendes Beispiel ist der ehemalige American-Football-Spieler Steve Gleason. Gleason, der vor allem für seine Zeit bei den New Orleans Saints bekannt ist, erhielt 2011 die ALS-Diagnose. Seitdem hat er durch die Gründung der Team Gleason Foundation bedeutende Beiträge zur Unterstützung von ALS-Patienten und zur Förderung innovativer Technologien für Menschen mit Behinderungen geleistet. Seine Geschichte wurde in der Dokumentation Gleason festgehalten und hat weltweit Menschen inspiriert.
Diese Beispiele zeigen, dass Menschen mit ALS oft einen außergewöhnlichen Lebensmut besitzen und trotz der Einschränkungen Großes bewirken können.